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realfragment   Fotografien von Patrick G. Stößer
Freizeit Heidelberger Studierender

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Das Projekt

Das Projekt wurde 1999 am Institut für Soziologie der Ruprecht-Karls-Universität unter der Leitung von Dr. Achim Bühl durchgeführt. Neben einer gemeinsamen Erhebung arbeiteten alle Studierenden auch in Projektgruppen an einer eigenen freizeitsoziologischen Untersuchung mit vorwiegend regionalen Bezügen zur Stadt Heidelberg. So hatte sich zum Beispiel eine Gruppe zusammengefunden, welche die Freizeit von Behinderten in Heidelberg erforscht. Eine andere Projektgruppe analysierte in einem Betrieb die Auswirkungen unterschiedlicher Arbeitszeitmodelle auf das Freizeitverhalten der Beschäftigten.
Folgende Themen werden im Rahmen des Forschungsprojektes "Freizeit" von den Studierenden bearbeitet:

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Die Erhebung

Zunächst einmal haben die 120 Soziologiestudierenden gemeinsam mit ihrem Hochschullehrer Dr. Achim Bühl einen Fragebogen zum Thema ,,Freizeit Heidelberger Studierender" entworfen, getestet, erhoben und ausgewertet.
Um Repräsentativität zu gewährleisten, wurden fünf Prozent der Studierenden eines jeden Studienfaches auf der Basis eines Quotenplans befragt.
Im Wintersemester 1998/99 waren 24.265 Studierende an der Universität Heidelberg eingeschrieben. Für die angehenden Soziologinnen und Soziologen war es nicht einfach, 1.223 Studierende zum Ausfüllen des 21-seitigen Fragebogens zu gewinnen.

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Die Theorie

Als theoretischer Hintergrund zur Deutung unterschiedlichen Freizeitverhaltens von Studierenden verschiedener Fachkulturen dienten die Überlegungen des französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Seinem Ansatz folgend wird vermutet, dass die unterschiedliche soziale Herkunft der Studierenden einen Einfluss auf die Studienwahl ausübt, als auch die studentische Alltagspraxis und Freizeitgestaltung mitbestimmt.
Bourdieu erklärt diese Einflussnahme im wesentlichen damit, dass im Laufe des durch das Elternhaus und anderen Instanzen geprägten Sozialisationsprozesses spezifische Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata ausgebildet werden, die er Habitus nennt. Die durch unterschiedliche soziale Herkunft erzeugten habituellen Dispositionen äußern sich in verschiedenartigen Lebensstilen, d. h. in unterschiedlichen Wohn-, Kleidungs- sowie Freizeitstilen, Wertorientierungen, Lebenszielen und politische Einstellungen etc.

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Die Resultate

Einige Ergebnisse der Erhebung werden hier vorgestellt. Die Resultate liefern u.a. aufschlussreiche Antworten auf folgende Fragen: Was machen Heidelberger Studenten in ihrer Freizeit? Welche Freizeitmotive haben sie? Wie zufrieden sind sie mit ihrer Freizeit sowie dem Freizeitangebot in Heidelberg? Wieviel freie Zeit steht ihnen zur Verfügung? Gestalten Männer und Frauen ihre Freizeit unterschiedlich? Existieren Unterschiede im Freizeitverhalten von Studierenden verschiedener Fachkulturen (Medizin, Jura, VWL, Sozialwissenschaften, Sprach- und Kulturwissenschaften, Naturwissenschaften)? Wie können existierende Unterschiede im Freizeitverhalten erklärt werden?

Soziale Herkunft und Studienfachwahl

Bezüglich des Bildungsniveaus und der beruflichen Stellung der Eltern stammen Studierende im Vergleich zur Gesamtbevölkerung aus höheren sozialen Schichten. Die Studierenden bilden diesbezüglich aber keine einheitliche Gruppe: Studierende aus verschiedenen Fächergruppen kommen vielmehr aus Elternhäusern, die mit unterschiedlichen ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen ausgestattet sind. Das beste Beispiel hierfür stellen die Mediziner und etwas abgeschwächt die Juristen dar. Jeder fünfte Medizinstudent hat einen Vater bzw. eine Mutter, die selbst als Arzt oder Ärztin tätig ist. Die Medizinstudierenden stammen insgesamt aus den Elternhäusern mit dem höchsten sozio-ökonomischen Status. Es folgen die Juristen mit dem zweithöchsten sozio-ökonomischen Status des Elternhauses, mit Abstand dann die Naturwissenschaftler, Volkswirte sowie die Sprach- und Kulturwissenschaftler, zwischen denen keine sozio-ökonomischen Statusunterschiede festzustellen sind. Am unteren Ende der Skala befinden sich die Studierenden der Sozialwissenschaften.

Diagramm: Bildungskapital des Vaters

Die Grafik verdeutlicht die unterschiedliche soziale Herkunft der Studierenden verschiedener Fachkulturen. So stammen über 50 % der Heidelberger Mediziner und Juristen aus Elternhäusern mit sehr hohem Bildungskapital, bei den Sozialwissenschaftler sind dies lediglich 31 %.

Freizeitaktivitäten

Auf der Hitliste der Freizeitaktivitäten steht bei den Studierenden "Bücher lesen, die nichts mit der Uni zu tun haben" mit 50 % "sehr oft" bzw. "oft" ausgeübt ganz oben, gefolgt von Kinobesuchen mit 41 % sowie in die Kneipe gehen, Zeitungen lesen und Individualsport betreiben mit jeweils 40 %. Recht weit abgeschlagen, aber noch weit über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung, erreichen klassische hochkulturelle Aktivitäten wie Theaterbesuche 7 % und die Oper 5 %. Der "homo studiosus" erweist sich ansonsten als recht geselliges Lebewesen, so gehen 71 % der Studierenden mit ihren Freunden "sehr oft" bzw. "oft" aus und 55 % treffen sich "häufig" bzw. "sehr häufig" mit ihren Freunden zu hause. Insgesamt wurden dreißig verschiedene Freizeitaktivitäten abgefragt, die zu insgesamt fünf Aktivitätsmustern gebündelt werden konnten: Hochkultur (Theater, Oper, Literaturabende etc. besuchen, Bücher lesen etc.) Sport (Mannschaftssport, Individualsport, Trendsport, Extremsport etc.) Alltagskultur, Geselligkeit (Kneipe, Kino, Disco, Spieleabende etc.) Weiterbildung (EDV-, Sprachkurse, Studium Generale, Studienreisen etc.) und häusliche Tätigkeiten (Handarbeiten, Bastelarbeiten, Reparaturen ausführen etc.) Sowohl zwischen Männern und Frauen als auch zwischen den einzelnen Fachkulturen zeigen sich deutliche Unterschiede hinsichtlich der präferierten Freizeitaktivitäten.

Fachkulturen

Hochkulturelle Aktivitäten werden deutlich häufiger von Studierenden der Sprach- und Kulturwissenschaften bevorzugt, während Naturwissenschaftler und Volkswirte sich eher als "Kulturmuffel" erweisen. Es wird zum Beispiel deutlich, dass Sprach- und Kulturwissenschaftler im Vergleich zum Durchschnitt aller Studierender stärker hochkulturelle Freizeitaktivitäten bevorzugen. Der Bereich der Alltagskultur - wozu nicht zuletzt auch die Kneipe zählt -, ist wiederum fest in der Hand der Sozialwissenschaftler, Juristen sowie der VoIkswirte, während Naturwissenschaftler und Mediziner hier deutlich weniger aktiv sind. In Sachen Sport erweisen sich Juristen und Mediziner als besonders engagiert, während Sprach- und Kulturwissenschaftler bei Massensportaktivitäten deutlich distanzierter sind. Die Aktivitätsfelder "häusliche Tätigkeiten" und "Weiterbildung" lassen keine eindeutigen Unterschiede zwischen den Fachkulturen erkennen.

Präferenzen unterschiedlicher Fachkulturen

Die Grafik zeigt die Präferenzen Studierender unterschiedlicher Fachkulturen im Freizeitbereich.

Geschlechtsspezifische Aspekte

Männer und Frauen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Freizeitaktivitäten in den Bereichen Hochkultur, Sport und häusliche Tätigkeiten deutlich voneinander, nicht jedoch was die Geselligkeit und die Weiterbildung anbelangt. Frauen gehen öfter in die Oper, ins Museum oder ins Theater, während Männer im Bereich des aktiven Sports (insbesondere des Mannschaftsports) dominieren und häufiger als Sportzuschauer anzutreffen sind als ihre weiblichen Kommilitonen. Vorprogrammiert zu sein scheint auch der häufig mit allen Mitteln der Kunst ausgetragene Kleinkrieg in studentischen Wohngemeinschaften. Lediglich 18 % der Männer räumen ihre Studentenbude "sehr oft" bzw. "oft" auf, während es bei den Frauen 34 % sind. Gar 38 % der Männer räumen "selten auf", während es bei den Frauen nur 19 % sind.

Freizeitpräferenzen von Studentinnen und Studenten

Die Grafik zeigt die Freizeitpräferenzen von Studentinnen und Studenten im Vergleich. Es wird zum Beispiel deutlich, dass Frauen im Vergleich zu den Männern stärker an hochkulturellen Aktivitäten interessiert sind.

Tageszeitungen

Danach befragt, was an einer Tageszeitung besonders interessiert, antworten Heidelberger Studierende vor allem mit "die Politik" (zu 77 % ist es die Außenpolitik und zu 66 % die Innenpolitik). Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Beliebtheit zeigen sich bei den Rubriken Wirtschaft und Politik, Kultur und Sport sowie den Lokalseiten. Studentinnen bevorzugen Kultur und Lokales; ihre Kommilitonen hingegen präferieren die Sportnachrichten und den Wirtschafts- und Politikteil. Auch lässt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen den einzelnen Rubriken und den Fachkulturen feststellen. So interessieren sich erwartungsgemäß vor allem Sprach- und Kulturwissenschaftler für den Kulturteil, gefolgt von den Sozialwissenschaftlern. Juristen und Volkswirte bevorzugen dagegen die Kolumnen Sport, Wirtschaft und Politik.

Fernsehsendungen

Beim Fernsehen zeigt sich ein ähnliches Bild. Der Fernseher wird von den Studierenden hauptsächlich als Informationsquelle genutzt. 86 % der befragten Studierenden geben an, "oft" oder "sehr oft" Nachrichten zu sehen, gefolgt von Spielfilmen mit 74 %. Bei den Informationssendungen lassen sich keine geschlechtsspezifischen Unterschiede erkennen, lediglich wissenschaftliche Sendungen werden öfter von Studenten als von Studentinnen konsumiert. Bezüglich der Unterhaltungssendungen, die allerdings überhaupt nur von einem geringen Teil der Studierenden gesehen werden, finden sich die gängigen geschlechtsspezifischen Vorurteile bestätigt. So sehen Frauen neben kulturellen Magazinen bevorzugt Seifenopern sowie Talkshows, Männer hingegen Sportsendungen, Science-Fiction-Filme und Erotik. Auch fachspezifische Unterschiede sind zu erkennen, so sind beispielsweise die Hauptkonsumenten von Sportsendungen Juristen und Volkswirte, während Natur-, Geistes- sowie Kulturwissenschaftler eher kulturelle und politische Magazine bevorzugen.

Freizeitmotivation

Ausgehend von fünfundzwanzig Fragen zu unterschiedlichen Freizeitmotiven konnten insgesamt fünf Motivationsarten unterschieden werden: Soziale Kommunikation (Geselligkeit, Treffen mit Freunden etc.) Entspannung (Erholung, Regeneration etc.) Bildung (VHS-Kurse, Ringvorlesungen etc.) Kreativität (Tüfteln, Basteln etc.) Körperorientierung (Sportliche Aktivitäten, Fitness etc.)

Fachkulturen

Bei den Fachkulturen sind die Motivationsunterschiede deutlich geringer ausgeprägt, aber gleichwohl existent. Ihren bevorzugten Aktivitäten entsprechend überwiegen bei Medizinern und Juristen im Vergleich zu den Sprach-, Kultur- und Sozialwissenschaftlern körperorientierte Motive. Sprach- und Kulturwissenschaftler sind dagegen bildungsorientierter, ebenso wie ihre Kommilitonen aus dem Fachbereich Jura. Juristen und Naturwissenschaftler legen ferner im Vergleich zu allen anderen Fachkulturen wesentlich weniger Wert auf eine kreative Freizeitgestaltung.

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Auch bezüglich der Motive unterscheiden sich Männer und Frauen deutlich voneinander. Während bei Männern die Körperorientierung und das Bildungsmotiv im Vordergrund stehen, bestimmen bei den Frauen eher Kreativität und soziale Kommunikation die Freizeitgestaltung.

Woher nehmen Studierende Anregungen für ihre Freizeitgestaltung?

In erster Linie orientieren sie sich in ihrer Freizeitgestaltung an Freunden, Bekannten und Partnern; allerdings ist dieser Effekt bei den Studentinnen wesentlich stärker ausgeprägt als bei ihren Kommilitonen. Eine wesentliche Rolle spielt bei beiden Geschlechtern auch die Gewohnheit. Kaum angeregt werden Studierende in der Freizeitgestaltung durch die Familie und durch Angebote der Universität. Überraschenderweise spielen auch die Medien keine große Rolle bei der Ideenfindung für die Freizeit.

Freizeitzufriedenheit

Alles in allem sind die Heidelberger Studierenden mit Ihrer Freizeit zufrieden. Auf einer Skala von 1 ("ganz und gar zufrieden") bis 11 ("ganz und gar unzufrieden") geben über 50 % der Befragten Werte von 1 bis 3 an (der Mittelwert liegt bei 4). Künftige Mediziner sind mit ihrer Freizeit am wenigsten zufrieden. Es folgen die angehenden Wirtschaftswissenschaftler, Naturwissenschaftler und Mathematiker. Am glücklichsten mit ihrer Freizeit fühlen sich zukünftige Sozialwissenschaftler, dicht gefolgt von Sprach- und Kulturwissenschaftlern. Medizinstudenten sehen ihre Freizeit am stärksten durch Lernen für das Studium und am geringsten durch Nebenjobs eingeschränkt. Letzteres lässt sich am ehesten dadurch erklären, dass die meisten angehenden Mediziner von ihren Eltern finanziell unterstützt werden. Im Gegensatz dazu stehen die Studierenden der Sozialwissenschaften und der Volkswirtschaft, die sich weniger durch Lernzwänge als eher durch Jobben eingeschränkt fühlen. Dennoch verfügen die meisten Studierenden nach eigenen Angaben über soviel Geld, um ihre freie Zeit nicht in erster Linie durch Finanzprobleme beeinträchtigt zu sehen, ob sie nun von ihren Eltern unterstützt werden oder nicht.

Freizeit in Heidelberg konkret

Im Rahmen der Erhebung war auch das Freizeitangebot der Stadt Heidelberg ein Themenschwerpunkt. Im Fragebogen konnten die Studierenden dem Freizeitangebot in Heidelberg eine Note von 1 ("sehr gut") bis 5 ("mangelhaft") geben. Im Schnitt beurteilen die Studierenden das Freizeitangebot in Heidelberg "gut" bis "befriedigend" (2,5). Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Benotung gibt es nicht. Allerdings lassen sich Unterschiede hinsichtlich der Fachkulturen feststellen. So bewerten Volkswirte und Mediziner das Angebot am Besten, während Juristen und Sozialwissenschaftler das Angebot deutlich schlechter beurteilen. Knapp 50 % bewerten das Heidelberger Freizeitangebot mit der Note gut, 5 % mit der Note sehr gut. Es wurde allerdings nicht nur die Gesamtzufriedenheit des Heidelberger Freizeitangebots ermittelt, sondern auch die Zufriedenheit mit dem kulturellen und sportlichen Angebot sowie dem Nachtleben im speziellen. Dabei ist festzustellen, dass insgesamt 71 % aller Befragten mit dem kulturellen Angebot und immerhin gut zwei Drittel der Befragten mit dem sportlichen Angebot (59 %) und dem Nachtleben (62,7 %) "sehr zufrieden" bis "zufrieden" sind. Bezüglich der Fachkulturen sind in allen drei Bereichen signifikante Unterschiede hinsichtlich der Bewertung aufgefallen. Das kulturelle Angebot wird insbesondere von den Sprach- und Kulturwissenschaftlern geschätzt. Diese geben dem kulturellen Angebot Heidelbergs die Durchschnittsnote 2,1. Die Juristen beurteilen das kulturelle Angebot innerhalb der Fachkulturen mit einer 2,5 am schlechtesten. Das sportliche Angebot wird von den Volkswirten mit der Note 2,5 am Besten beurteilt. Beim Nachtleben vergeben die Volkswirte und Naturwissenschaftler mit 2,3 die besten Noten, während die Sozialwissenschaftler mit einer 2,8 die schlechteste vergeben. Insgesamt erweisen sich die Juristen von allen Studierenden eindeutig am unternehmungslustigsten, was den Besuch von Kneipen, Restaurants etc. anbelangt. Mediziner und Naturwissenschaftler bilden das Schlusslicht. Zur Einschätzung der Heidelberger Kneipenszene wurde den Studierenden ein Querschnitt von zwanzig Lokalitäten zur Auswahl gestellt. Überragender Sieger sind erwartungsgemäß die Studentenkneipen: Marstallcafé in der Altstadt und Café Botanik im Neuenheimer Feld. Bei den übrigen aufgeführten Kneipen zeichnen sich fachkulturspezifische Muster ab: Juristen und Mediziner besuchen in erster Linie In-Kneipen, wie "Rossi", "Gecko", "Großer Mohr", "Zieglers", "S'Lager". Kaum frequentiert wird vor allem das von den Sprach- und Kulturwisenschaftlern häufiger aufgesuchte "Café im Karlstorbahnhof". Die Sprach- und Kulturwissenschaftler sowie die Sozialwissenschaftler finden sich selten oder gar nicht in den Kneipen der Mediziner und Juristen. Kneipen der Sozialwissenschaftler sind eher Kneipen wie die "Sonderbar", der "Marstall", das "Hemingways" oder diverse studentische "Wohnheimbars". Die Sprach und Kulturwissenschaftler finden sich neben der Kulturkneipe "Café im Karlstorbahnhof" auch noch verstärkt in Ethnien-orientierten-Kneipen wie den irischen Pubs oder im "Café Journal". Auf die Frage: ,,Was vermissen Sie in Heidelberg hinsichtlich ihrer Freizeit am meisten?" konnten die Befragten ihre Wünsche frei äußern. Nahezu jeder zehnte Studierende bemängelt die einseitige und unzureichende Club- und Discolandschaft in Heidelberg. Die Ergebnisse der Studie lassen also insbesondere den Wunsch nach einem differenzierteren Musikangebot erkennen, wie etwa Techno-Kneipen, Independent-Clubs oder Metal-Discos. Ein großes Interesse besteht ebenfalls an dem ehemaligen Autonomen Zentrum. 20 % der Studierenden geben an, dessen Veranstaltungen besucht zu haben.

Beurteilung des Heidelberger Freizeitangebotes

Die Grafik zeigt die Beurteilung des Freizeitangebotes der Stadt Heidelberg durch ihre Studierenden anhand von Schulnoten.

Lebensziele

Insgesamt wurden vier Lebenszielbereiche abgefragt, die Auskunft über die Wertorientierungen der Befragten geben sollen:

- Karriere
- Familie/Partnerschaft
- Geistig-kultureller Bereich
- Gesellschaftliches Engagement

Fachkulturen

Am stärksten wollen sich Sozialwissenschaftler gesellschaftlich engagieren, gefolgt von den Medizinern. Am Ende stehen die Naturwissenschaftler. Als "Karrieristen" können die Juristen bezeichnet werde, dicht gefolgt von den Volkswirten und den Medizinern. Am wenigsten karriereorientiert zeigen sich Sozialwissenschaftler, Sprach- und Kulturwissenschaftler und Naturwissenschaftler.

  Lebensziele Heidelberger Studierender

Die Grafik zeigt die Lebensziele Heidelberger Studierender nach Fachkulturen.

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Es zeigen sich auch deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Bei Männern steht die Karriere mehr im Mittelpunkt, während Frauen eher familien- und partnerschaftsorientiert sind und sich auch im geistig-kulturellen Bereich stärker verwirklichen wollen.

Freizeitvolumen und Jobben

Dreiviertel der Studierenden geben an, während des Semesters maximal vier Stunden Freizeit pro Tag zu haben. Im Semester sieht das Leben der Heidelberger Studierenden so aus, dass sie knapp 60 % ihrer Zeit an der Universität verbringen oder lernen, immerhin 10 % ihrer Semesterzeit jobben und 24 % ihrer Zeit zur freien Verfügung haben. Den Rest ihrer Zeit verbringen sie mit sonstigen Dingen (Einkaufen, Erledigungen etc.). Im Jahr verbringen sie - entgegen gängigen Vorurteilen - durchschnittlich nur drei Wochen im Urlaub.

Semesterwoche unterschiedlicher Fachkulturen

Die Grafik zeigt die "typische" Semesterwoche Studierender unterschiedlicher Fachkulturen.

Fachkulturen

Dem Fachbereich Medizin kommt eine Sonderrolle im Freizeitverhalten zu. Nur 20 % der Mediziner geben an, mehr als vier Stunden pro Tag im Semester an freier Zeit zur Verfügung zu haben. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler haben dagegen mehr Freizeit. Hier geben 40 % an, mehr als vier Stunden pro Tag zu haben. Mediziner und Naturwissenschaftler verbringen auf Grund der starken Strukturgebundenheit ihres Studienfaches ihre Freizeit hauptsächlich mit Kommilitonen ihres Fachbereichs, während zum Beispiel Sozialwissenschaftler und Juristen ihre Freizeit vermehrt auch mit Studierenden anderer Fachkulturen sowie mit Nichtstudierenden verbringen. Studierende der Sozialwissenschaften jobben wesentlich mehr als zum Beispiel ihre Kommilitonen der Natur- und Rechtswissenschaften. Dies gilt sowohl für die Vorlesungszeit als auch für die vorlesungsfreie Zeit. Sozialwissenschaftler jobben im Semester durchschnittlich 12 Stunden pro Woche, Juristen bzw. Mediziner hingegen 9 Stunden pro Woche. Sozialwissenschaftler wie auch Wirtschafts- und Sprachwissenschaftler jobben in erster Linie, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihr Studium zu finanzieren, Mediziner werden dagegen stärker durch ihre Eltern unterstützt. Bei den Juristen spielt die Zusatzqualifizierung noch eine zentrale Rolle beim Nebenjob.

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Bemerkenswert ist, dass Studentinnen nach eigener Einschätzung wesentlich weniger Freizeit haben als ihre männlichen Kommilitonen; diese Feststellung bezieht sich sowohl auf das Semester als auch auf die Semesterferien. Sie verbringen entsprechend auch mehr Zeit an der Universität oder mit Lernen. Hinsichtlich des Zeitaufwandes für Jobben unterscheiden sich Männer und Frauen allerdings nicht.

BAföG und Nebenerwerbstätigkeiten

Nur 13 % der Studierenden beziehen BAföG. 61 % gehen während des Semesters und sogar 70 % während der Semesterferien arbeiten. Die ausgeführten Tätigkeiten haben aber nur selten (12 %) etwas mit dem Studienfach zu tun. Für 65 % der Studierenden ist die Arbeit zwecks Finanzierung des Studiums notwendig. Von denjenigen Befragten, die jobben, geben 92 % an, Geld über Nebenerwerbstätigkeiten verdienen zu müssen, um sich etwas Zusätzliches wie z. B. Urlaub, Freizeit und Hobbies leisten zu können. Für immerhin 3 % rührt der Zwang zum Arbeiten daher, dass sie zusätzlich zu ihrer eigenen Versorgung auch noch die Versorgung des Partners oder eines Kindes übernehmen müssen.

Finanzierung des Lebensunterhaltes

Die Grafik verdeutlicht, wie unterschiedlich stark Studierende verschiedener Fachkulturen ihren Lebensunterhalt durch Nebenjobs bestreiten müssen.

Wohnformen

15 % der Studenten wohnen noch Zuhause, rund ein Drittel in Wohngemeinschaften. 20 % wohnen in einer Mietwohnung, 17 % im Studentenwohnheim und immerhin 12 % zusammen mit ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin. Von denjenigen, die alleine in einer Mietwohnung leben, zahlen Juristen mit durchschnittlich 700 DM die höchste Miete, gefolgt von dem Medizinern mit 630 DM. Am unteren Ende stehen die Volkswirte und die Sprach- und Kulturwissenschaftler mit 560 bzw. 540 DM.

Wohnformen Heidelberger Studierender

Die Grafik zeigt die unterschiedlichen Wohnformen Heidelberger Studierender.

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Zusammenfassung der Ergebnisse

Die ersten Ergebnisse der "Forschungsgruppe Freizeit" am Institut für Soziologie der Universität Heidelberg belegen, dass zwar in Bezug auf die Gesamtbevölkerung von einer "studentischen Freizeitkultur" gesprochen werden kann, diese sich aber stärker als bislang vermutet ausdifferenziert.
Entscheidende Prediktoren individuellen Freizeitverhaltens sind das Geschlecht, die soziale Herkunft, die Zugehörigkeit zur Fachkultur sowie die finanzielle Situation der Studierenden. Auf der Basis der für die Heidelberger Studentenschaft repräsentativen Daten lässt sich zeigen, dass die soziale Herkunft der Studenten sowohl einen bedeutenden Einfluss auf die Studienwahl ausübt als auch auf den Freizeitstil. Erklärt werden kann diese Einflussnahme über die Verinnerlichung habitueller Dispositionen im Rahmen primärer Sozialisationsprozesse. Der Freizeitstil kann dabei generell als expressive Dimension individueller Lebensweise begriffen werden. Hochkulturelle Angebote (Oper, Theater, Konzerte) werden etwa vor allem von denjenigen Studierenden wahrgenommen, deren Eltern bereits über ein "hohes" bzw. "sehr hohes" kulturelles Kapital verfügen.
Die Resultate verweisen auf die Existenz eines weiblichen und männlichen Freizeitstils sowie fachkulturspezifischer Freizeitmuster. Hinsichtlich der Freizeitaktivitäten sind Frauen stärker als Männer im Bereich der Hochkultur sowie bei häuslichen Tätigkeiten (Basteln, Aufräumen etc.) engagiert, während Männer häufiger Mannschaftssport betreiben und als Sportzuschauer anzutreffen sind. Kreativität und soziale Kommunikation bilden die wesentlichen Beweggründe individuellen Freizeitverhaltens bei den Frauen, bei den Männern dominiert die Körperorientierung ("Sport").
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass nach eigener Einschätzung Studentinnen sowohl während des Semesters als auch während der vorlesungsfreien Zeit über wesentlich weniger Freizeit verfügen als ihre männlichen Kommilitonen. Dies mag u. a. daran liegen, dass sie deutlich mehr Zeit an der Universität und für das Lernen aufbringen.

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Freizeitstile der verschiedenen Fachkulturen

Analysiert man die Freizeitstile der einzelnen Fachkulturen, so ergibt sich folgendes Bild:

Jura

Die Juristen stammen aus Elternhäusern mit einem vergleichsweise hohen sozio-ökonomischen Status. Stärker als andere Fachkulturen sind Juristen an sportlichen Aktivitäten interessiert, was sowohl für Mannschaftssportarten als auch für die passive Teilnahme an Sportveranstaltungen gilt. Bevorzugt werden ferner Aktivitäten im Bereich der Alltagskultur (Kneipenbesuche etc.) und im Bereich der Weiterbildung. Bei Tageszeitungen interessieren sie sich besonders für die Kolumnen Sport, Wirtschaft und Politik. Den Freizeitaktivitäten entsprechend überwiegen bei ihnen körperorientierte Motive ("Sport"), während sie im Vergleich zu allen anderen Fachbereichen weniger Wert auf eine kreative Freizeitgestaltung legen. Neben den klassischen Studentenkneipen wie dem Marstallcafé sind sie vor allem in "In-Kneipen" anzutreffen wie z. B. "Rossi", "Gecko" und "Großer Mohr". Ihre Lebensziele sind stärker karriereorientiert als die ihrer Kommilitonen, was auch die Tatsache unterstreicht, dass die Ausübung von Nebenjobs für sie vor allem der zusätzlichen beruflichen Qualifizierung dient.

VWL

Die Volkswirte bevorzugen alltagskulturelle Aktivitäten wie Kneipenbesuche, während sie deutlich distanzierter hochkulturellen Aktivitäten wie dem Oper- und Theaterbesuch sowie häuslichen Aktivitäten gegenüberstehen als andere Fachkulturen. Sie sind ebenfalls stärker als andere Fachkulturen sportlich ambitioniert, deutlich ausgeprägt ist die Körperorientierung als Motiv für die Freizeitgestaltung. Ihre Lebensziele sind den Juristen vergleichbar stärker karriereorientiert, das gesellschaftliche Engagement spielt im Vergleich zu den Sozialwissenschaftlern eine geringere Rolle.

Sozialwissenschaften

Die Sozialwissenschaftler stammen aus Elternhäusern mit dem vergleichsweise niedrigsten sozio-ökonomischen Status. Eine Folge dieses Sachverhaltes ist die hohe Belastung durch Nebenjobs zur Studienfinanzierung. Mit den Juristen und Volkswirten teilen die Sozialwissenschaftler die Geselligkeit, auch sie sind deutlich stärker in Kneipen anzutreffen als etwa ihre Kommilitonen aus der Medizin und den Naturwissenschaften. Die Sozialwissenschaftler finden sich allerdings selten oder gar nicht in den Kneipen der Juristen und Mediziner. Kneipen der Sozialwissenschaftler sind solche mit alternativem Flair wie die "Sonderbar" und das "Hemingways". Trotz der hohen Belastung durch Nebenjobs sind Sozialwissenschaftler mit ihrer Freizeit am zufriedensten, was daran liegen mag, dass sie sich zwar deutlich stärker durch Nebenjobs, aber zugleich auch schwächer durch Lernzwänge eingeschränkt fühlen als ihre Kommilitonen.

Sprach- und Kulturwissenschaften

Studierende der Sprach- und Kulturwissenschaften bevorzugen vergleichsweise deutlich stärker hochkulturelle Aktivitäten und stehen sportlichen Aktivitäten distanzierter gegenüber. Sie interessieren sich bei Tageszeitungen erwartungsgemäß stärker für den Kulturteil und bevorzugen kulturelle und politische Fernsehmagazine. Ihre Freizeitmotive sind bildungsorientierter. Sprach- und Kulturwissenschaftler finden sich neben der Kulturkneipe "Café im Karlstorbahnhof" verstärkt in "Ethnien-orientierten Kneipen" wie den irischen Pubs. Mit den Sozialwissenschaftlern teilen sie die geringe Karriereorientierung.

Naturwissenschaften

Die Naturwissenschaftler stammen aus Elternhäusern mit einem mittleren sozio-ökonomischen Status. Sie weisen insgesamt eine geringe Freizeitzufriedenheit auf, was unter anderem damit erklärt werden kann, dass sie ihre Freizeit sehr stark durch die Universität und Lernen eingeschränkt sehen. Naturwissenschaftler verbringen ihre freie Zeit in erster Linie im Kreise anderer Naturwissenschaftler. Insgesamt ist der aktive Gestaltungsanteil in fast allen Freizeitbereichen vergleichsweise gering.

Medizin

Mediziner stammen aus Elternhäusern mit dem höchsten sozio-ökonomischen Status im Vergleich zu allen anderen Fachkulturen. In ihrem Freizeitverhalten sind sie sehr stark sportlich orientiert. Hinsichtlich der Freizeitzufriedenheit sind sie am unzufriedensten, was unter anderem darin begründet liegt, dass sie ihre Freizeit am stärksten durch Lernen und die Universität eingeschränkt sehen. Nur ein Fünftel ihrer Zeit sehen sie als freie Zeit an. Ihre Freizeit wird kaum durch Nebenerwerbstätigkeiten eingeschränkt, was wohl dadurch erklärt werden kann, dass sie vergleichsweise am stärksten durch ihre Eltern finanziell unterstützt werden. Mediziner besuchen in erster Linie wie die Juristen auch die sogenannten "In-Kneipen". Wichtige Lebensziele der Mediziner sind zum einen das gesellschaftliche Engagement wie auch die Karriereorientierung. Mediziner verbringen ihre Freizeit in erster Linie mit anderen Medizinern und weniger mit Studierenden anderer Fachkulturen und Nichtstudierenden.

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